Rechtfertigender Notstand

Die Schweigepflicht darf gebrochen werden, wenn ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB vorliegt. Voraussetzung dafür ist eine gründliche Abwägung, ob das Brechen der Schweigepflicht ein geeignetes und erforderliches Mittel ist, um eine akute Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit abzuwenden, die über das Geheimhaltungsinteresse der Patientin oder des Patienten hinausgeht. Dies gilt z. B. wenn schwerwiegende Schädigungen oder der Tod zu befürchten sind. In einem solchen Fall sind Sie befugt, Ihnen anvertraute Geheimnisse gegenüber der Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft zu offenbaren. Gegenüber Dritten sind Sie weiterhin an die Schweigepflicht gebunden.

Ein Beispiel

Eine Ihnen bekannte Patientin stellt sich wiederholt mit körperlichen Verletzungen in Ihrer Hausarztpraxis vor. Sie schildert, sie sei von ihrem Ehemann tätlich angegriffen worden, nachdem dieser mitten in der Nacht alkoholisiert nach Hause gekommen sei. Die kleine Tochter sei wach geworden und habe den Vorfall - wie so oft - mit ansehen müssen, seitdem nässe sie wieder ein. Obgleich der Ehemann ihr mit dem Leben drohe, möchte die Patientin nicht, dass dieser „Ärger“ bekommt und verzichtet deshalb auf eine Anzeige.

Beim Abwägen der Rechtsgüter könnten Sie als Ärztin oder Arzt zu der Entscheidung kommen, das zuständige Jugendamt informieren zu müssen (siehe Kindeswohlgefährdung). Sie könnten nach einem intensiveren Gespräch mit der Patientin auch zur Entscheidung kommen, dass die Drohungen des Ehemanns so ernst zu nehmen und konkret sind, dass Sie die Polizei über die Vorfälle informieren müssen, auch wenn die Patientin das eigentlich nicht will. Das könnte z.B. dann gelten, wenn die Patientin keine Möglichkeiten sieht, für ihren Schutz zu sorgen. Besser wäre es allerdings, Sie könnten im Einvernehmen mit der Patientin eine Schutzmöglichkeit finden, z.B. die Unterbringung in einem Frauenhaus.

Ähnliche Entscheidungen könnten ggf. auch andere Gesundheitsfachkräfte treffen müssen, z.B. Pflegefachkräfte, die schwere, akut bedrohliche Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen in Erfahrung bringen.